Autowerkstatt 4.0: Top oder Flop?

Allerorts rennt Digitalisierung Türen ein. Im Gepäck: Veränderte Kundenanforderungen, modernste Technologien und damit neue Wettbewerbsbedingungen. Auch vor der Automobilbranche machen diese Entwicklungen nicht Halt. Besonders betroffen ist der Automotive Aftermarket. Mit einem erwarteten Geschäftsvolumen von etwa 1.200 Milliarden Euro bis 2023 ist er der stärkste Gewinnbringer der Branche (McKinsey, 2018). Trends wie die zunehmende Vernetzung und Automatisierung von Prozessen stellen Hersteller, Großhändler und Endnutzer vor immense Herausforderungen und machen aus digitalisierten Geschäftsmodellen mehr als eine Kür. Ob bereit oder nicht: Der Wandel findet statt. Nutzen Sie diesen für sich!

ÜBERBLICK

Veränderte Kundenerwartungen aufgrund nahezu unbegrenzter Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, die Elektrifizierung von Fahrzeugen und das Auftreten neuer Wettbewerber im Markt lassen analoge Workflows an ihre Grenzen stoßen. Ein Branchensegment, das gestern noch in konservativen Denkstrukturen feststeckte, wird mit dem Generationenwechsel und vor dem Hintergrund einer ,,amazonisierten” Gesellschaft zunehmend zum Innovationstreiber. Das bestätigen auch die Umfrageergebnisse der Initiative Qualität ist Mehrwert: Die Mehrheit der befragten Werkstätten bewertet die Digitalisierung positiv und sieht sie als Entwicklung an, die für schnellere Prozesse und signifikante Arbeitserleichterungen sorgt.

Chancen der Digitalisierung im Automotive Aftermarket – Die Top Five

#1 Prozessoptimierung durch ganzheitliche Vernetzung

Seit geraumer Zeit geistert ein Begriff in der Branche herum. Die beinahe inflationäre Verwendung lenkt dabei von seiner tatsächlichen Relevanz ab: Ganzheitlichkeit. So weit, so abstrakt. Aber was hat es mit dem Buzzword auf sich? Einfach gesprochen beschreibt es die digitale Vernetzung aller betrieblich genutzten Systeme – von der Terminerfassung über die Serviceannahme und die Beschaffung bis zur Abrechnung. Hier gehen Herausforderung und Chance allerdings Hand in Hand. Denn: Die automatisierte Kommunikation zwischen einzelnen Software-Tools funktioniert nur, wenn in einem ersten Schritt passende Schnittstellen integriert werden.

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"Damit Datenketten nahtlos und fehlerfrei von A nach B kommen, müssen IT-Systeme in der Werkstatt miteinander sprechen. Insellösungen legen diesem Ziel Steine in den Weg."

Erst durch sie wird ein hürdenloser Datentransfer möglich. Workflows brechen nicht mehr inmitten der Abwicklung ab, weil der verantwortliche Mitarbeitende gerade Mittagspause macht. Stattdessen laufen fragliche Datenmengen ohne Umwege in das Warenwirtschaftssystem (WWS) und werden von dort aus an angeschlossene Systeme verfüttert. Das lässt nicht nur die Fehlerquote bei der Auftragserteilung sinken, sondern sorgt auch für optimierte Werkstattabläufe und einen signifikanten Performance-Schub.

Endlose Prozessketten dank digitaler Tools ganzheitlich im Griff haben.

#2 Erhöhte Preistranzparenz in der Beschaffung

Automotive-Kunden, egal ob Werkstätten, (Groß-)Händler oder Endverbraucher, sind dank der grenzenlosen Möglichkeiten des World Wide Web heute so informiert und selbstbestimmt wie nie zuvor. Das stößt auch im Aftermarket drastische Veränderungen an. Immer mehr User nutzen digitale Kanäle, um sich einen Überblick über Produktkosten und -qualität zu verschaffen. Nicht nur Vergleichs- und Empfehlungsportale gewinnen an Bedeutung. Auch die Neigung zu Online-Käufen und Transaktionen nimmt deutlich zu. Und sorgt dafür, dass alle Player ihre Position im B2C- & B2B-E-Commerce-Geschäft rekapitulieren müssen. McKinsey (2018) prognostiziert diesbezüglich, dass Werkstätten ihre E-Commerce-Aktivitäten bis 2030 auf Händler-unabhängigen B2B-Plattformen weiter verstärken und auch Endkunden Ersatzteile zunehmend über digitale Plattformen erwerben werden. Wo vorher feste Preiskonditionen und Verträge den Einkauf bestimmten, sorgen jetzt  beinahe unbegrenzte Informations- und Beschaffungsmöglichkeiten für mehr Preistransparenz und Fairness auf dem Digitalisierungsfeld.

#3 Der Kunde ist König dank Big Data-Analyse

Ungeheure Datenmengen rasen auf uns zu – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die fortschreitende Elektrifizierung und Vernetzung von Fahrzeugen versorgt die Akteure des Automotive Aftermarket mit wichtigen Informationen u. a. zum Fahrverhalten, zur Laufleistung und dem Kilometerstand. Umfassend nutzbar wird der ungeschliffene Datenschatz jedoch erst durch sogenannte Big-Data-Statistiken und fortschrittliche Analysemethoden. Individuell eingesetzt, bietet diese Kombination die Chance, das Verhalten und die Bedürfnisse des Kunden zu untersuchen und Wertschöpfungsketten dahingehend zu optimieren. Während Werkstätten so beispielsweise mögliche Wartungsbesuche und damit verbundene Dienstleistungen sowie Ersatzteilkäufe vorhersagen können, wird Flottenbetreibern aufgrund datenbasierter Prognosen die Organisation ihrer Fuhrparkaktivitäten erleichtert. Das sorgt nicht nur für effizientere Unternehmensprozesse und höhere Umsätze, sondern auch für mehr Zufriedenheit beim Endverbraucher.

#4 Zufriedenere Kunden durch schnelleren Service

Die Ära der digitalen Transformation zieht eine Verlagerung der Kundenbedürfnisse vom B2C in den B2B-Bereich nach sich. Mit dem Einzug technologischer Innovationen und einer wachsenden Anzahl an Touchpoints entlang der Wertschöpfungskette müssen auch Automotive-Akteure mit einer vermehrten Beteiligung der Endkunden im Markt rechnen. In erster Linie ist davon das Dienstleistungssegment betroffen. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass Werkstätten im Zuge ihrer Digitalisierungsmaßnahmen nach und nach einzelne Services an den Endkunden übergeben (Stichwort: Self Services). In der Praxis sieht das dann so aus: Der Kunde vereinbart selbst Termine oder ruft online den Reparaturstatus seines Fahrzeugs ab – ganz bequem von zuhause aus. Damit werden einzelne Serviceprozesse signifikant beschleunigt und das Fachpersonal vor Ort entlastet. Mit spezifischem Expertenwissen angereichert, unterstützen digitale Servicetools Werkstätten außerdem dabei, schneller besseren Kundensupport anbieten zu können.

Mehr als die Hälfte der befragten Branchenexperten sprechen dem Servicesegment im Automotive Aftermarket eine signifikante Bedeutung zu (Cf. McKinsey & Company (2018): Ready for Inspection – The Automotive Aftermarket in 2030).

#5 Mehr Zeit fürs Wesentliche!

Machen wir also einen kleinen gedanklichen Ausflug in die digitale Kfz-Werkstatt von morgen: Analoge Workflows werden ganzheitlich digitalisiert abgebildet. Mit relevanten Kundendaten angereichert, sind Softwarelösungen nahtlos in die bestehende IT-Systemlandschaft integriert und ermöglichen so einen automatisierten Datenfluss zwischen den einzelnen Fachabteilungen. Diese digitalisierten Prozessketten reduzieren den Verwaltungsaufwand seitens der Mitarbeitenden auf ein Minimum und schaufeln stattdessen Platz für das frei, was Werkstätten wirklich wichtig ist – ihr Kerngeschäft. Damit schließt sich hier der (Chancen-)Kreis.

Digitalisierung der Werkstatt, individuell erfolgreich

Damit ganzheitliche Digitalisierung und Prozessoptimierung im Automotive Aftermarket funktionieren kann, müssen sich alle Player vor Augen halten: Veränderung beginnt beim Menschen. Im Klartext, bei den Akteuren, die davon profitieren. Das ist nicht in erster Linie das Management, sondern vielmehr das Werkstattpersonal selbst. Erst wenn digitale Prozesse an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden angepasst sind und demnach für echte Arbeitserleichterung sorgen, ist die digitale Transformation wirklich erfolgreich.

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"Damit durch die Digitalisierung echte Erfolge verzeichnet werden können, müssen von Anfang an alle Beteiligten – allen voran die Mitarbeitenden – mit ins Boot geholt werden."

Der Automotive Aftermarket ist eine ,,alte” Branche. Analoge Workflows, die sich hier etabliert haben, sind meist über mehrere Jahrzehnte gewachsen und entsprechend komplex. Ein stupides Überstülpen digitalisierter Arbeitsabläufe ist nicht zielführend. Damit Werkstätten sich im Wettbewerb von anderen Marktteilnehmern abheben und klare USPs definieren können, müssen bestehende Prozessstrukturen authentisch und nachhaltig optimiert abgebildet werden. Ohne die Berücksichtigung individueller Kundenbedürfnisse wird aus ,,One-fits-All” sonst schnell ein klares ,,One-fits-None”.

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LENA SCHÖNLEBEN
junior marketing manager

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KEVIN DEWI
COO

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ALEXANDER KIRCH
solution manager

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PATRICK LANG
head of automotive products

Quellen

McKinsey & Company (2018): Ready for Inspection – The Automotive Aftermarket in 2030.

Qualität ist Mehrwert (2021): KFZ-Werkstatt Befragung. Digitalisierung in Werkstätten.

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